„Earthing“

Barfuß durch den Kongresstag

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS MAGAZIN (PRINT 2020/02)

Bild: © New Africa - stock.adobe.com

Starre Abläufe und Strukturen aufzubrechen, ist mehr denn je Gebot der Stunde – Naturerlebnisse in Veranstaltungen (und nicht nur in diese) einzubringen, stellt eine Möglichkeit dar, um das zu erreichen – was diesbezüglich alles möglich ist, zeigte sich vor 60 Jahren bei den Olympischen Spielen in Rom 

Manche Dinge sind erschreckend banal. Wie das unvergleichbare Erlebnis eines Spazierganges barfuß am Meeresstrand oder auf einer Morgentau getränkten Wiese. Oder das barfüßige Waten durch ein Bächlein. Für Kids ist das ganz normal. Für Erwachsene weniger. Bei ihnen geht diese Unbeschwertheit oft verloren – nicht zuletzt durch das Tragen von Schuhen.  

Modisch, sportlich, bequem, maßgefertigt oder High Heels, oft drückend und zwickend – Hauptsache schick. Schuhe im japanischen Restaurant ausziehen? Wenn’s unbedingt sein muss. Barfuß bei Meetings? Niemals.  

Dabei stellt Barfußgehen und -laufen die natürlichste Form der menschlichen Fortbewegung dar. Der menschliche Fuß besitzt hierfür eine Vielzahl von Rezeptoren und Muskeln, um den Untergrund präzise wahrzunehmen und sich ihm anzupassen. So ist es barfuß nahezu unmöglich, umzuknicken, weil man ein schiefes Auftreten schon frühzeitig bemerkt. Die Sensomotorik ist derart ausgeprägt, dass automatisch Verletzungsquellen ausgewichen wird.  

Felle, Blätter und 1.700 Nervenenden

Erst vor rund 10.000 Jahren kam der Mensch auf den Schuh. Nach heutigem Stand stammt die älteste Fußbekleidung der Welt aus Nordamerika und kann auf bis zu 8.300 v. Chr. zurückdatiert werden. Zum Schutz von Fuß bzw. Sohle wurden aber bereits viel früher Felle, Blätter oder Leder verwendet, diverse Abdrücke legen diese Vermutung nahe.

Erst in der Antike sind Schuhe zum Allgemeingut geworden, mit jeweils regionalen Unterschieden bei der funktionalen Ausstattung. Modische Akzente, wie Schafthöhen, Verschlussarten und Gestaltungsformen, sind dann ab dem Hochmittelalter im nördlichen und mittleren Europa nachweisbar. Spätestens ab dem 19. Jahrhundert hat die modische Ausgestaltung extrem zugenommen. Heute sind nahezu jeder Wunsch und jede Stilrichtung umsetzbar.  

So erfreulich dies einerseits klingt, sorgte dies mit der Zeit zu einem mehr und mehr passiven Gang. Fuß, Knöchel und Beinmuskeln arbeiten heute zu wenig und erschlaffen. Studien zufolge wird das Kniegelenk immer stärker wiederkehrenden Drehbeanspruchungen ausgesetzt (barfuß sinkt diese Belastung um 27%). Und der Sauerstoffverbrauch ist bei einem Schuhträger um 2,5% höher. 

Zufall ist all dies keiner. Denn der Fuß ist einer der wichtigsten Körperteile. Er trägt uns durchs ganze Leben: jeder von uns verbringt bis zu 57% seines Daseins auf seinen Beinen, wobei wir ganze dreimal um die Erde laufen (ungefähr 130.000 km oder 200 Mio. Schritte). Und er ist ein hochkomplexes Gebilde mit 60 Muskeln, 200 Sehnen und 107 Bändern, 27 Gelenken und 26 Knochen (ein Viertel unseres gesamten Körpers) sowie 1.700 Nervenenden.  

Barfuß von Olympia bis Hollywood  

In mitteleuropäischen Breiten galt Barfußlaufen lange Jahre hindurch als Privileg der Kinder, in der Erwachsenenwelt hingegen als ein Zeichen von Armut. Erst mit Beginn der Hippie-Bewegung in den 1960er Jahren kam es zu einer Emanzipation.  BARFUSS GEHEN wurde zur bewussteren Wahrnehmung der Umgebung populär. Die US-amerikanische Komödie „Barfuß im Park“, 1967 als Kinohit mit Robert Redford und Jane Fonda in den Hauptrollen, setzte dem Barfußlaufen ein literarisches und filmisches Denkmal. 

Eine noch beeindruckende Demonstration dessen, was barfuß so alles möglich ist, lieferte vor 60 Jahren der Äthiopier Abebe Bikila: der lief 1960 bei den Olympischen Spielen in Rom zu Marathongold – ohne Schuhe. Er besaß lediglich ein einziges zerschlissenes altes Paar und da er auch in Rom kein neues fand, das ihm passte, entschied er sich, barfuß zu laufen – so wie er es von Kindesbeinen an gewohnt war. Und wie er lief: die 2:15:16 Stunden brachten nicht nur die Gold-Medaille, sondern bedeuteten auch eine neue Weltbestzeit. 

Earthing4u 

Heute ist rund um das Barfußgehen unter dem Titel „Earthing“ eine ganze Heilwissenschaft entstanden. Am Beginn stehen die Ende der 1990er Jahre vom US-amerikanischen Kabel-TV Techniker Clint Ober gemachten Erfahrungen über den stabilisierenden Einfluss der Erdung. Durch den direkten Erdkontakt mit Füssen kann – so Clint Ober’s Erkenntnis - der naturgegebene elektrische Grundzustand unseres Körpers wiederhergestellt werden, was sich positiv auf das Immunsystem auswirkt. 2010 schrieb Clint Ober dazu den Bestseller „The Earthing Book“. 

„Earthing“ bedeutet, wieder eine direkte Verbindung zu Mutter Erde aufzunehmen. Das wirkt. Und schafft unvergessbare Erlebnisse. Wie etwa 2017, als die Convention4u erstmals im Congress Saalfelden unter dem Motto „Tagen mit Weitblick“ über die Bühne ging. Im Fokus stand vor allem Experimentierfreudigkeit mit unterschiedlichen Tagungsformaten, von Fishbowls bis zu Bar Camps. Und auch das Rahmenprogramm wartete mit Kontrasten und Überraschungen auf, wie etwa das Mittagessen am zweiten Kongresstag: bei strahlendem Sonnenschein marschierten die TeilnehmerInnen zur Auflockerung nach den Sessions zum Hotel Ritzenhof der Hoteliers-Familie Riedlsperger, wo es für alle plötzlich hieß: Schuhe ausziehen! Was folgte, war ein Barfuß-Lunch in entspannter Atmosphäre mit regionalem Street Food. Das Spüren des Rasens, das gleichberechtigte Neben- und Miteinander ohne trennendes Schuhwerk blieben bei den Convention4u-TeilnehmerInnen nicht ohne Wirkung. 

Vielfalt an Ideen 

Es ist dies nur ein ganz banales Beispiel. Und nur ein kleiner von vielen Programmpunkten einer großen Veranstaltung. Aber er zeigt, mit welch einfachen Mitteln sich oft Naturerlebnisse in Meetings, Conventions oder Seminare einbinden lassen. Als geschätzten Kontrapunkt zu unerfreulichen Begleiterscheinungen des Alltags, wie Lärmverschmutzung, Elektrosmog oder Vereinsamung in einem zunehmend digitalisierten, von Betonwüsten geprägten Umfeld.  

„Earthing“ ist nicht der einzige Ansatz, um dem zu begegnen. Die Vielfalt an Ideen und Initiativen in Österreichs MICE-Branche ist groß. Einiges dazu stellt AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS FUTURE unter dem Motto „future with nature“ auf den folgenden Seiten vor. 

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